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Franz Schubert - Schwanengesang

Schwanengesaenge von Franz Schubert (1797-1828)
Liedersammlung nach dem Erstdruck
von Tobias Haslinger (Wien 1829)

"originaler" Schwanengesang Nr. 1

  1. Schwangesang D 318

"Schwanengesang" Rellstab-Gruppe D 957

  1. Liebesbotschaft
  2. Kriegers Ahnung
  3. Frühlingssehnsucht
  4. Ständchen
  5. Abschied
  6. Aufenthalt
  7. Herbst D 945
  8. In der Ferne
  1. Die Taubenpost D 965 A
  2. Sehnsucht D 636

"Schwanengesang" Heine-Gruppe D 957

  1. Das Fischermädchen
  2. Am Meer
  3. Die Stadt
  4. Der Doppelgänger
  5. Ihr Bild
  6. Der Atlas

"originaler" Schwanengesang Nr. 2

  1. Schwanengesang D 744 op. 23,3

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ARS 38 494
Qualität: DDD
Aufnahme: 25.-28.10.2009
Veröffentlicht: 01.11.2010
EAN: 4260052384947
Spieldauer: 61:41

Dominik Wörner, Bassbariton
Christoph Hammer, Hammerflügel

 


REZENSION

Bemerkenswerte Schlaglichter

Eigene Wege geht das Liedduo Dominik Wörner und Christoph Hammer. Statt ihrer bereits vorliegenden 'Winterreise' nun die 'Müllerin', den anderen großen Zyklus des Liedoeuvres Franz Schuberts folgen zu lassen, entschieden sie sich für den sogenannten ‚Schwanengesang‘ – jene Kompilation, die gar nicht auf den Komponisten zurückgeht, sondern auf seinen Verleger Tobias Haslinger. Der fehlenden Autorisierung tragen Wörner und Hammer auf ihrer neuen, bei Ars Produktion erschienenen CD auf kundige, originelle Weise Rechnung.

Die traditionelle Haslingersche Reihenfolge wird geändert. Die beiden Blöcke der Sammlung – die Rellstab- und die Heine-Lieder – werden voneinander getrennt und intern umgestellt. Das vormals letzte Lied, die 'Taubenpost', rückt zwischen sie. Ergänzend geschieht ein Griff in den reichen Fundus des Schubertschen Liedschaffens: Anfang und Ende bilden zwei frühe, mit 'Schwanengesang' betitelte Lieder Schuberts (D 318 nach L. Th. Kosegarten und D 744 nach J. Chr. Senn), 'Sehnsucht' D 636 (nach F. Schiller) steht an der Seite der 'Taubenpost', und zum Rellstab-Komplex tritt mit 'Herbst' D 945 die einzige Vertonung dieses Dichters durch Schubert, die nicht Eingang in die Haslingersche Sammlung fand.

Lob des Flügels

Ein veritables Schubert-Kompendium zum Thema (Todes-)Sehnsucht also, das Wörner und Hammer da vorlegen. Aber dieser neuartige Zugang zur Sammlung ist bei weitem nicht der einzige Vorzug, den die CD aufzuweisen hat. Das Instrument der Aufnahme ist jenes von Conrad Graf (Wien, 1827/28), das die beiden Musiker schon auf ihrer 'Winterreise' begleitete. Sein Klang ist sehr weich, dem des heutigen Flügels überraschend ähnlich, aber dennoch eine Spur eigenwilliger. Vor allem in der Mittellage fühlt man sich an den dünnen, silbrigen Ton älterer Hammerflügel erinnert, während das markige Bassregister sich zu großer Fülle von geradezu eherner Mächtigkeit steigern kann (man vergleiche z.B. 'Herbst' D 945). Überhaupt scheinen die Ausdrucksmöglichkeiten gegenüber modernen Flügeln bei größerer Farbigkeit differenzierter, facettenreicher zu sein. Selbst, dass der Anschlag (etwa bei den Bass-Tremoli in der 'Stadt') nicht ganz so zuverlässig ist wie bei neueren Konzertflügeln, stört kaum, fügt sich vielmehr überzeugend in die Gesamtcharakteristik ein.

Das Lob des Instrumentes fällt natürlich auch auf den Pianisten: Christoph Hammer zeigt sich als sensibler, kongenialer Begleiter mit trefflichem Gespür für die Möglichkeiten des Flügels: Man höre nur einmal, was da in den monolithischen Akkordfolgen des 'Doppelgängers' alles webt und schwebt! Welche flirrenden Klangkaskaden da in der kosmische Dimensionen evozierenden Architektur des 'Atlas' entfesselt werden!

Dominik Wörners staunenerregender Bassbariton

Diese beiden Lieder sind überhaupt mit die beeindruckendsten Nummern der CD. Selten hat man sie in vergleichbarer Eindringlichkeit gehört. Der Flügel mit seinem enormen Klangpotenzial erweist sich als vollkommene Ergänzung von Dominik Wörners staunenerregenden Bassbariton. Auch dessen Wandlungsfähigkeit ist enorm – etwa, wenn die letzte Aufgipfelung des 'Doppelgängers' ('so manche Nacht') binnen Silben in eine verzagende Geste ('in alter Zeit') zusammensinkt. Es beeindruckt die kräftige, scheinbar lückenlose Durchbildung der Stimme von der dunklen, wahrhaft profunden Tiefe bis in die immer noch substanzreiche Höhe, ihre Klarheit und ihr weicher Schmelz, das mühelos entfaltete Volumen, das sich im 'Atlas' erschütternd zum ‚entfesselten Schrei des gebrochenen Herzens‘ (so Wörner im Beiheft-Text) steigert. Die Frage, ob man das so rückhaltlos expressiv singen dürfe (‚Franzl, du übertreibst‘, wurde Schubert anlässlich dieses Liedes angeblich von seinen Freunden entgegengehalten), kommt da gegen das bestürzende Klangerlebnis kaum auf...

Vielleicht kein Zufall, dass diese nachhaltigsten Momente der CD ausgerechnet in den Heine-Liedern zu finden sind. Nicht nur ist deren dichterische Qualität den Texten Rellstabs unerreichbar, in denen man gleichwohl, insbesondere in den gelegentlichen nachtschwarzen Stimmungen ('so sinket die Hoffnung des Lebens dahin'), eine individuelle Handschrift zu erkennen glaubt. Auch an musikalischer Radikalität haben Schuberts Heine-Vertonungen kaum ihresgleichen. Dem Interpreten machen sie es teilweise einfach – einfacher als die vergleichsweise konventionelleren Rellstab-Lieder... Alles wirkt äußerst solide und außerordentlich klangschön vorgetragen...

Alles in allem ... gilt: Hier liegt eine unbedingt hörenswerte neue Interpretation von Schuberts ‚Schwanengesang‘ vor, die ... nicht zuletzt durch das überzeugende inhaltliche Konzept – auf das ‚apokryphe‘ Werk einige höchst bemerkenswerte Schlaglichter wirft.

Klassik.com | Gero Schreier, 21.01.2011